#17 - Die Epigenetik des Hundes - Interview mit Dr. Peter Spork
Shownotes
In dieser spannenden Episode sprechen Kynologe Joe Rahn und der Neurobiologe Dr. Peter Spork über das faszinierende Thema der Epigenetik und dessen Auswirkungen auf das Verhalten und die Gesundheit von Hunden. Dr. Spork erklärt, dass die Eigenschaften und das Verhalten eines Hundes nicht ausschließlich durch seine Gene bestimmt werden, sondern zu einem großen Teil von Umweltfaktoren beeinflusst werden, die täglich auf ihn einwirken. Epigenetik beschreibt dabei, wie Gene an- und abgeschaltet werden, was entscheidend für das Verhalten, die Resilienz und die Gesundheit eines Tieres ist.
Dr. Spork erläutert die grundlegenden Mechanismen der Epigenetik, insbesondere die DNA-Methylierung, bei der chemische Markierungen an das Erbgut angeheftet werden, um bestimmte Gene zu blockieren oder ihre Aktivität zu dämpfen. Dies führt dazu, dass Erfahrungen, Stress und Ernährung die Genexpression des Hundes beeinflussen. Er beschreibt die Zelle als ein Erinnerungsgerät, das sich an ihre vergangenen Erfahrungen anpasst. Dr. Spork betont, dass man als Hundehalter nicht nur eine Beziehung aufbauen, sondern auch durch bestimmte Umgebungsfaktoren und eine bewusste Ernährung die Epigenetik des Hundes positiv beeinflussen kann.
Im weiterführenden Gespräch reflektiert Dr. Spork seine eigene Kindheit mit einem Hund und teilt wertvolle Einblicke darüber, wie wichtig die ersten Lebenswochen eines Hundes für die Entwicklung seiner Epigenetik sind. Die ersten 130 Tage, beginnend mit der Zeugung, sind entscheidend und prägen die Schaltmechanismen der Gene. Joe und Peter diskutieren, wie Halter, Trainer und Züchter die Verantwortung tragen, den Hunden ein positives Umfeld zu bieten, um ihre Entwicklung zu fördern.
Die Episode beleuchtet auch die Rolle von Ernährung und sozialen Interaktionen in der Epigenetik von Hunden. Dr. Spork verwendet das Beispiel der Licking Rats, um zu verdeutlichen, wie wichtige frühe Bindungen und Pflegeverhalten die genetische Veranlagung eines Tieres beeinflussen können. Er macht deutlich, dass selbst das Verhalten eines Tieres über Generationen hinweg geprägt wird und die Auswirkungen von Stresserfahrungen nie zu unterschätzen sind.
Ein weiterer zentraler Punkt des Gesprächs ist die Erkenntnis, dass weniger als 10% des Verhaltens von Hunden genotypisch verankert sind, während der Großteil durch die Erfahrungen und das Umfeld geformt wird. Dies führt zu einer tiefgreifenden Diskussion über Rassismus im Kontext der Hunde, was zunehmend in der Wissenschaft und der Zucht in Frage gestellt wird. Dr. Spork argumentiert, dass beim Wesen eines Hundes in der Praxis die individuelle Prägung und die Interaktion mit Haltern erheblich wichtiger sind als die Rassezugehörigkeit.
Abschließend appelliert Dr. Spork an Hundehalter, Trainer und Züchter, auf Augenhöhe mit ihren Tieren zu arbeiten und die Stärken der Epigenetik als Chance zu betrachten, das Verhalten ihrer Hunde zu fördern. Die Episode beendet sich mit dem Wunsch nach weiterführenden Gesprächen, um die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Epigenetik und Verhalten vertieft zu beleuchten. Es ist eine fesselnde Diskussion, die das Potenzial hat, das Verständnis für Hunde und deren Pflege maßgeblich zu verändern.
**Das Buch **https://www.kosmos.de/de/die-epigenetik-des-hundes11803969783440180396
**Das Webinar zum Buch **https://www.kosmos.de/de/die-epigenetik-des-hundes1900483100-112-900483-video
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Joe Rahn [0:00] Stell dir vor, dein Hund ist nicht so, wie er ist, weil es in seinen Genen steht, sondern weil sein Körper jeden Tag entscheidet, welche dieser Gene an- oder abgeschaltet werden. Das nennt man Epigenetik und sie verändert alles: wie dein Hund fühlt, wie er lernt, wie gesund er bleibt. Und das Beste: du selbst hast Einfluss darauf – auf Verhalten, Resilienz, Gesundheit. Nicht durch Dressur, sondern durch Beziehung, Umwelt, Alltag und, ja auch, durch Ernährung. Gene sind wie Baupläne, aber nicht jeder Plan wird automatisch gelesen. Genexpression bedeutet, dass ein Gen aktiv ist und seine Information tatsächlich in ein Protein umgesetzt wird. Doch ob ein Gen aktiv ist oder stumm geschaltet bleibt, entscheidet die Epigenetik. Einer der wichtigsten Mechanismen ist die sogenannte DNA-Methylierung – dabei wird eine Methylgruppe wie ein Stoppschild auf das Erbgut gesetzt.
Joe Rahn [1:15] Epigenetik ist also wie ein molekulares Erinnerungssystem – und Methylierung einer ihrer wichtigsten Marker. Heute sprechen wir mit dem Mann, der diesen Zusammenhang populär gemacht hat: Neurobiologe, Bestsellerautor und Wissenschaftsjournalist Dr. Peter Spork.
Joe Rahn [1:31] Willkommen zu einer Folge, die dir als Hundehalter zeigt: Verhalten beginnt nicht im Kopf, sondern auf Zellebene. Herzlich willkommen, Peter.
Dr. Peter Spork [1:41] Hallo Joe, danke, dass ich zu Gast bei dir sein darf.
Joe Rahn [1:44] Und danke, dass du hier bist. Du hast mit deinem neuen Buch einen richtigen „Mindblower“ geschrieben – auch für mich als Tierpsychologe und Diätetiker. Stell dich doch bitte kurz vor.
Dr. Peter Spork [2:03] Sehr gern. Ich bin Biologe und arbeite seit über 30 Jahren als Wissenschaftsjournalist. Ich habe für fast alle großen Zeitungen geschrieben und mehrere Bücher veröffentlicht – meist für ein allgemeines Publikum. Mein Thema ist seit vielen Jahren die Epigenetik, und obwohl ich kein typischer „Hundemensch“ bin, wurde ich über die Jahre oft eingeladen, um der Hundeszene die Epigenetik zu erklären. Und jetzt gibt es dazu endlich ein Buch.
Joe Rahn [3:26] Du schreibst in deinem Buch auch über deine Kindheitserfahrungen mit dem Hund „Wussel“. Das war dein erster Kontakt mit Hundeverhalten, oder?
Dr. Peter Spork [3:43] Ja, Wussel war ein Mischling – Dackel und Schnauzer. Die Hündin meiner Großmutter hatte bei uns geworfen, während sie verreist war. Die Welpen kamen in meinem Kinderzimmer zur Welt. Ich habe den Hund geliebt, aber im Rückblick weiß ich, dass wir als Kinder viele Fehler gemacht haben. Mit dem Wissen von heute hätte ich vieles anders gemacht.
Joe Rahn [4:46] Für viele Zuhörer:innen heute ist Epigenetik ein neues Konzept. Kannst du es einmal einfach erklären?
Dr. Peter Spork [5:11] Klar. Epigenetik bedeutet wörtlich „zusätzlich zur Genetik“. Sie beschreibt die biochemischen Mechanismen, die darüber entscheiden, welche Gene einer Zelle aktiv sind und welche nicht. Jede Zelle hat dieselbe DNA, aber Leberzellen verhalten sich anders als Nervenzellen – weil andere Gene aktiv sind. Und das wird epigenetisch reguliert, z. B. über Methylgruppen, Acetylgruppen oder andere molekulare Modifikationen.
Dr. Peter Spork [7:32] Die Epigenetik ist wie die Software eines Computers – sie entscheidet, ob das Programm „Leberzelle“ oder „Nervenzelle“ läuft. Und auch innerhalb dieser Programme gibt es Unterschiede: Die Leberzelle eines gesunden Hundes reguliert Gene anders als die eines fehlernährten Hundes. Und das ist genau der Punkt, an dem Ernährung, Umwelt und Stress eine Rolle spielen.
Joe Rahn [9:23] Wie schnell reagieren denn solche epigenetischen Schalter auf äußere Einflüsse wie Stress oder Fütterung?
Dr. Peter Spork [9:44] Die Zelle reagiert permanent auf Reize – durch klassische Genregulation. Wenn aber ein Einfluss über längere Zeit wirkt, stellt sich die Zelle um. Bücher (Gene) werden nicht mehr ins Regal gestellt, sondern dauerhaft auf den Schreibtisch gelegt. Dieser Zustand bleibt, bis sich das Umfeld ändert – dann verändert sich die Epigenetik wieder. Wie schnell das geht, hängt vom Einfluss ab: Traumata können mit einem Ereignis wirken, andere Dinge brauchen Wochen.
Joe Rahn [12:56] Was bedeutet das für meine Arbeit als Verhaltenstherapeut? Gibt es eine Art Zeitleiste oder Ablauf?
Dr. Peter Spork [13:18] Nein – das ist individuell. Die Epigenetik gibt keine festen Regeln vor. Aber sie zeigt: Nichts ist in Stein gemeißelt. Die Vergangenheit eines Tieres prägt seine Zellen, aber du kannst neue Impulse setzen. Besonders stark wirken Prägungen in den ersten 130 Tagen ab Zeugung. Das ist das Zeitfenster für die stärksten epigenetischen Einflüsse.
Joe Rahn [16:12] Du sprichst auch von den „Licking Rats“ – einem Schlüsselergebnis epigenetischer Forschung. Was ist da passiert?
Dr. Peter Spork [19:29] Rattenmütter, die ihre Jungen nicht ausreichend pflegen, haben Nachkommen, die ängstlich und aggressiv sind – und selbst schlechte Mütter werden. Das ist nicht genetisch, sondern epigenetisch programmiert: Das Stresssystem der Tiere wird „verstellt“. Diese Effekte sind biologisch sinnvoll – aber in der Hundezucht ein Problem. Und sie sind über Generationen vererbbar.
Joe Rahn [22:44] Das lässt sich auch mit Ernährung koppeln – z. B. bei Tryptophanmangel, wenn Serotonin fehlt. Diese Hunde sind nicht nur geprägt, sie werden auch noch falsch gefüttert.
Dr. Peter Spork [24:37] Absolut. Ernährung beeinflusst das Verhalten direkt – und über das Mikrobiom. Und es gibt Studien, z. B. von Elinor Karlsson, die zeigen, wie wenig Verhalten tatsächlich genetisch fixiert ist. Die berühmte 9%-Studie etwa zeigt: Nur 9 % der rassetypischen Verhaltensweisen sind genetisch erklärbar.
Joe Rahn [30:36] Dann ist die Unterscheidung von Rassen eigentlich überbewertet, oder?
Dr. Peter Spork [30:54] Genau. Es ist ein kulturelles Konstrukt. Das Verhalten eines Hundes hängt stärker von Geschlecht, Alter, Umgebung und Halter ab als von der Rasse. Und wer mit Hunderassen pauschal Verhalten erklärt, betreibt im Grunde biologisch nicht haltbaren „Rassismus“.
Joe Rahn [35:21] Das klingt nach einem Paradigmenwechsel in der Hundezucht. Weg vom Stammbaum, hin zur Sozialpflege, Umfeld, Bindung und Ernährung.
Dr. Peter Spork [37:59] Ja. Der Hund ist ein Produkt aus Genetik und Umwelt – nicht ihre Summe. Wer traumatisierte Muttertiere züchtet, kann keine gesunden Welpen erwarten. Es multipliziert sich – im schlimmsten Fall mit Null.
Joe Rahn [47:55] Was ist mit erbkoordiniertem Verhalten – z. B. bei Hütehunden oder Jagdhunden? Kann ich das epigenetisch verändern?
Dr. Peter Spork [49:27] In gewissem Rahmen ja. Verhalten ist das Ergebnis komplexer Gen-Netzwerke. Mit Training, Umwelt und Ernährung lässt sich beeinflussen, welches Verhalten aus diesem Pool abgerufen wird. Aber es braucht Zeit – und ist individuell.
Joe Rahn [55:06] Also weg von Macht, Drill und Dressur – hin zu Beziehung auf Augenhöhe. Das fordert dein Buch ja auch ganz klar ein.
Dr. Peter Spork [54:28] Genau. Epigenetik lehrt uns Demut. Wir können nicht alles kontrollieren. Aber wir können viel gestalten. Und wir sollten beginnen, unsere Hunde als komplexe, adaptive Netzwerke zu sehen – nicht als Maschinen mit festen Programmen.
Joe Rahn [58:18] Danke, Peter. Das war hochspannend. Ich hoffe, wir setzen das Gespräch fort – z. B. mit einem Deep Dive in Nutrigenomik.
Dr. Peter Spork [58:25] Sehr gern. Danke dir für die Einladung!
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